Tipps zum Umgang mit Langeweile
Geht es auch ohne elektronische Geräte?
Langeweile ist ein häufiges Problem bei Kindern, insbesondere in einer Zeit, in der elektronische Geräte oft als Ablenkung dienen. Zudem sind es viele Kinder gewohnt, ständig beschäftigt und unterhalten zu werden. Das Kinderprogramm lässt in einigen Familien auch kaum Spielraum für Langeweile zu. Nebst dem vorgegebenen Stundenplan in der Schule wird der Sport- und Musikunterricht, Kurse und Talentworkshops in die noch möglichen Zeitfenster geschoben.
Aber auch digitale neue Medien wie Gamen, YouTube-Filmchen und TikTok gehören zum Alltag dazu und nehmen oft viel Zeit in Anspruch. Wenn dann an einem verregneten Sonntag mal Langweile aufkommt, sind Eltern und Kinder rasch überfordert. Viele Eltern machen sich Sorgen, wenn der Nachwuchs nur noch das Smartphone und die Konsole als Beschäftigungsmöglichkeit sieht.
Wie haben wir uns früher ohne digitale Medien die Zeit vertrieben? «Lies doch mal ein Buch!» oder «geh etwas lernen», tönt es oftmals aus der Erwachsenenecke.
Beschäftigungsprogramm für die Kinder?
Ob Väter und Mütter überhaupt das Beschäftigungsprogramm ihrer Kinder bestimmen und organisieren sollen, ist fraglich. Schliesslich sollen unsere Sprösslinge lernen, sich selbst zu beschäftigen. Wenn das nicht geht, entwickelt sich aus der Langeweile schnell einmal einen Familienstreit: Die Kinder quengeln, Eltern sind genervt und schimpfen – was kann man also tun?
Eigentlich sollte man sich über Langeweile freuen! Die richtige Reaktion auf die Quengelei ist dabei entscheidend. Anstatt sofort und unverzüglich aufzuspringen und das Kind bespassen, kann man mit dem Satz: «Toll, dann mach was Schönes!» dem Kind die Kompetenz verleihen selber zu denken und etwas Spannendes, Unterhaltendes zu finden.
Aus der Gehirnforschung ist bekannt, dass unser Gehirn nach dem Motto «use it – or lose it» funktioniert. Kinder der heutigen Generation wird das «Selberdenken» oft nicht zugetraut und teilweise sogar verunmöglicht, aus Gewohnheit oder aus Angst vor Auseinandersetzung. Langeweile entsteht oft nach einer intensiven Spiel- oder Gamephase. Im Anschluss schwappt das Kind in ein Langeweile-Zwischenstadium über, bevor es neue Ideen entwickeln kann. Diese Phase sollte nicht von gutgemeinten Elternratschlägen befüllt werden. Geduld ist hier gefragt! Geben Sie Ihrem Kind die Chance, sein Gehirn zu aktivieren. Langeweile fördert nämlich die Kreativität und somit die Gehirnleistung, das Selbstbewusstsein und die Selbstwirksamkeit Ihres Kindes.
Phasen der Langeweile fördern:
Motivation und Antrieb
Kreativität ist Intelligenz, die Spass hat. Kreativität bewirkt, dass der Körper Dopamin, einen Nervenbotenstoff, ausschüttet. Dieses ist verantwortlich dafür, dass wir Glücksgefühle empfinden können. Es wird auch ausgeschüttet, wenn man auf irgendeine Art und Weise belohnt wird. Der Botenstoff sorgt für Antriebskraft und Motivation. Das Gehirn kann in einen Kreativ-Modus wechseln, in dem mehr Raum für Fantasie, neue Ideen und Konzepte
Gehirnleistung
Kreativsein bedeutet: Ideen umsetzen, sich inspirieren lassen von Formen, Farben, Mustern, fantasieren, sich etwas vorstellen, entscheiden, spüren, gestalten, schöpfen, mutig sein, planen, verarbeiten, und vieles mehr. Diese Fähigkeiten fordern eine enorme Gehirnleistung. Auch wird in kreativen Phasen eine erhöhte Vernetzung der Gehirnregionen festgestellt sowie eine Verbesserung der kognitiven Fähigkeiten: Kreativität kann dazu beitragen, die kognitiven Fähigkeiten Ihres Kindes zu verbessern, indem sie das Gehirn dazu anregt, auf ungewöhnliche Weise zu denken und neue Verknüpfungen zwischen Ideen herzustellen. Dies kann langfristig dazu beitragen, die kognitive Flexibilität und die Fähigkeit zur Problemlösung zu verbessern. Auch die Neoplastizität wird gefördert, das heisst die Fähigkeit des Gehirns, sich anzupassen und zu verändern. Durch die kreativen Herausforderungen entstehen neue neuronale Verbindungen im Gehirn und die bestehenden Verbindungen werden verstärkt. Ganz allgemein kann belegt werden, dass die Kreativität die exekutiven Funktionen im Gehirn trainiert. Dies wirkt sich auf die Gehirnentwicklung der Kinder aus und kann die Schulleistungen fördern.
Selbstbewusstsein
Ein gesundes Selbstbewusstsein wird dadurch geschaffen, dass Neues entstehen darf aus den eigenen Kinderhänden. Kreativität erfordert oft ein gewisses Mass an Risikobereitschaft und Experimentierfreude, da Kinder neue Ideen ausprobieren und Fehler machen müssen, um zu lernen und zu wachsen. Wenn sie dabei positive Erfahrungen machen und ermutigt werden, ihre Kreativität weiter zu entfalten, kann dies das Selbstbewusstsein stärken und ein positives Selbstbild aufbauen.
Selbstwirksamkeit
Die Selbstwirksamkeit wird gefördert, indem Eltern ihre Kinder befähigen, selbständig ihre Probleme (Langeweile) anzugehen und zu lösen. Zu Maria Montessoris Leitsatz «Hilf mir, es selbst zu tun» gehört jedoch eine vorbereitete, anregende Umgebung. In einer hübschen Kreativ-Schachtel, welche für die Kinder bereitsteht, können Buntstifte, Papier, Knete, Leim und Schere versorgt werden. Ein paar hübsche Sticker, ein schöner Glitzerstift oder farbige Washi-Tape wirken Wunder und regen die Lust auf Kreativität bestimmt zusätzlich an.
Stressreduktion
Kreativität kann dazu beitragen, Stress abzubauen und das Wohlbefinden des Kindes zu verbessern. Es gibt Studien, die belegen, dass kreative Tätigkeiten wie Malen, Musizieren oder Basteln den Cortisolspiegel im Körper senken können, was ein Indikator für Stressreduktion ist.
Werkeln, spielen, ausprobieren...
Nicht jeder Sprössling kann zum Malen und Basteln motiviert werden. Jungs und Mädels hämmern und sägen oft auch gerne. Auch hier ist es ratsam, geeignete Werkzeuge und Materialien im Bastelsortiment zu haben. Beachten Sie jedoch, vor allem bei jüngeren Kindern, die Sicherheitskriterien und begleiten Sie unter Umständen den jungen Künstler. Auch alte Tücher, Wolldecken, Schirme und andere Alltagsdinge können Kinder zum Hütten-Bauen dienen. Darin lässt sich hübsch ein Tisch decken und vielleicht möchte dann auch das Nachbarskind einen kleinen Snack im selbstgebauten Schloss mitknabbern. Aus alten Brettern, Kissen, Eimer entstehen Hindernisparcours, welche die Koordination, Balance und Geschicklichkeit der Kinder verbessern können. Mit viel Fantasie werden auch Müllsäcke zu geeigneten Spielgeräten. Regelmässiges Spielen mit anderen Kindern ist für die soziale und emotionale Entwicklung unerlässlich und macht vor allem unendlich viel Spass.
Die 5 - 4 - 3 - 2 - 1 - Übung
Es gibt Zeiten, da sind Kinder für nichts zu begeistern. Bei vollkommener Lustlosigkeit darf dem Kind einen kleinen Ideen-Schubs gegeben werden. Eine dankbare Achtsamkeitsübung, bei der die Kinder schlussendlich selber auf eigene Ideen stossen, ist beispielsweise die 5 – 4 – 3 – 2 -1 -Übung. Durch das Aktivieren der fünf Sinne wird das Gehirn angeregt, das Umfeld wird bewusster wahrgenommen und verschollen geglaubte Spielsachen können wie von Zauberhand wieder auftauchen.
Finde eine angenehme Position für deinen Körper. Finde einen Punkt im Raum, auf dem du deinen Blick ruhen lässt. Atme einmal tief in den Bauchraum. Atme wieder aus.
Steh jetzt auf und geh langsam durch dein Zimmer oder deine Wohnung. Du darfst auch in den Garten gehen.
- Nun nimm bewusst 5 Dinge wahr, die du siehst. Sage dir laut oder in Gedanken, z.B.:
«Ich sehe einen Tisch.» «Ich sehe ein Spielzeugauto» usw.
- Nimm nun bewusst 4 Dinge wahr, die du hörst. Sage dir laut oder in Gedanken, z.B.:
«Ich höre Musik». «Ich höre ein Rauschen» usw.
- Nimm nun bewusst 3 Dinge wahr, die du spürst. Sage dir laut oder in Gedanken, z.B.:
«Ich spüre meinen Herzschlag». «Ich spüre einen Luftzug» usw.
- Nimm nun 2 Dinge wahr, die du riechst. Sage dir laut oder in Gedanken, z.B.:
«Ich rieche mein Parfum». «Ich rieche das Holz von meinem Bleistift» usw.
- Nimm nun 1 Ding wahr, das du schmeckst. Sage dir laut oder in Gedanken, z.B.:
«Ich schmecke meinen Kaugummi». «Ich schmecke das Innere meines Mundes.» usw.
Kinder zum Helfen animieren
Eine weitere Idee ist es, das Kind zu fragen, ob es etwas helfen möchte. Helfen hat viele positive Auswirkungen auf die Entwicklung des Kindes:
- Selbstbewusstsein: Das Selbstbewusstsein eines Kindes wird gefördert, wenn sie Aufgaben und Verantwortung übernehmen dürfen. Es gibt ihnen das Gefühl, nützlich und
wichtig zu sein.
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Soziale Kompetenz: Teamfähigkeit, Empathie und Kommunikation sind Qualitäten, welche durch die Zusammenarbeit mit anderen beim Helfen gefördert werden können.
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Werte entwickeln: Moralische Werte und Überzeugungen können durch das Helfen entwickelt werden.
- Beziehung: Wenn Kinder in einer Gemeinschaft oder in der Familie helfen, entstehen engere Beziehungen zu den Menschen, die unterstützt werden. Helfen fördert die soziale und persönliche Entwicklung der Kinder.
Entspanntes Familienklima für alle
Erfahrungsgemäß helfen Kinder und Jugendliche lieber, wenn das Familienklima entspannt und humorvoll ist. Gemeinsam mit lauter Musik tanzend und singend die Wohnung putzen ist cooler, als allein in der Stille zu schrubben. Die eigene innere Einstellung zur Hausarbeit ist ein wichtiges Kriterium. Wer den Abwasch oder das Tisch-Abräumen selbst als kaum überwindbare Schwerstarbeit betrachtet, wird es schwer schaffen, das Kind zum Helfen zu überreden. Überdenken Sie die Ihre Grundeinstellung und innere Haltung.
Natürlich ist es für Kinder, die von Langeweile geplagt sind, wunderschön, wenn Eltern sich für sie Zeit nehmen und beispielsweise ein lustiges Spiel spielen, einen Zeichenwettbewerb machen oder eine Geschichte erzählen. Es gibt so viele Dinge, die auch für Erwachsene spannend, unterhaltend und freudvoll sind. Oft wünschen sich Eltern in stressigen Zeiten mehr Erholungsphasen. Wir sehnen uns nach einem Spaziergang, einer Wellness-Auszeit oder einfach nach Kuschelzeit. Oder wir wünschen uns Zeit zum Backen, Kochen, Musizieren, Gärtnern oder Lesen. Legen Sie neben Ihren Arbeitsplatz einen Zettel, auf den Sie Ideen aufschreiben, die Ihnen in der arbeitsreichen Zeit den Sinn kommen. In Zeiten der Langweile helfen die Notizen, eine Beschäftigung zu finden. Vielleicht können so sogar gemeinsame neue Freizeitaktivitäten entdeckt werden, die Eltern und Kinder Spaß machen.
Meiner Meinung nach ist eine gute Mischung aus Selberdenken-Lassen, Anschubsen, Mitbasteln und Bespassen der Kinder die Ideallösung. Schauen Sie dabei gut zu sich selbst und übergehen Sie Ihre eigenen Bedürfnisse nicht. Nehmen Sie jedoch kleine Opfer wie schmutzige Kleider, eine schokoladenbeschmierte Küche oder dekorierte Väter in Kauf! 😊
Ich wünsche Ihnen viel Spaß und Freude an der Umsetzung Ihrer neuen Langeweile-Strategie!